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14.06.16 –
Crispr-Cas, Zinkfinger-Nukleasen, Genome Editing: in den letzten Jahren wurde eine Reihe neuer gentechnischer Verfahren entwickelt, die rasante Fortschritte in der Pflanzen- und Tierzucht versprechen. Die Hersteller wollen die Produkte aus naheliegenden Gründen am liebsten ohne aufwändige Risikoprüfung und absatzhemmende Gentechnik-Kennzeichnung auf den Markt bringen. Wir haben in einem gemeinsamen Fachgespräch der grünen Bundestags- und Europaparlamentsfraktion mit ExpertInnen aus Politik, Behörden, Forschung, Landwirtschaft und Verbänden über Risiken und Folgen einer unregulierten Freisetzung für die gentechnikfreie und ökologische Landwirtschaft in Europa, Umwelt und die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen diskutiert. Eine breite öffentliche Diskussion ist dringend nötig, bevor hier unumkehrbare Fakten geschaffen werden.
Das Interesse der Biotech-Industrie ist groß, die Verfahren nicht als Gentechnik einzustufen, da nur der Prozess, aber nicht das Produkt gentechnisch verändert sei. Dennoch bleiben die als „zielgerichtet“ und beschleunigte natürliche Prozesse gepriesenen Techniken vor allem eins: Gentechnische Eingriffe ins Erbgut, die noch weit radikalere Veränderungen ermöglichen als mit bisherigen Gentech-Methoden.
Die rechtliche Einordnung hat für die gesamte Land- und Lebensmittelwirtschaft Folgen: ohne Kennzeichnung und gesetzlich verankerte Schutzmechanismen würde eine Unterscheidung von Produkten und Verfahren immens aufwändig. Bislang ist in der EU noch vollkommen offen, wie die neuen Verfahren eingestuft, reguliert und gegebenenfalls gekennzeichnet werden. Bei einem gemeinsamen Fachgespräch der grünen Bundestags- und Europaparlamentsfraktion am 10. Juni 2016 diskutierten Expertinnen und Experten aus Politik, Behörden, Forschung, Landwirtschaft und Verbänden über Risiken und Folgen einer unregulierten Freisetzung für die gentechnikfreie und ökologische Landwirtschaft in Europa, Umwelt und die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen.
Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter kritisierte bei der Eröffnung der Veranstaltung Bundesregierung und Große Koalition, die bisher kaum auf die neuen Entwicklungen reagiert hätten. Hofreiter erinnern die Verheißungen der neuen Verfahren an die vielen großen und nicht gehaltenen Versprechungen der „klassischen“ Gentechnik wie Salz-, Trockenheits-Resistenz, Ertragssteigerungen oder verbesserte Nährwert-Eigenschaften. Es gehe ihm aber nicht darum, klischeegerecht „grünen-typisch“ eine neue Technologie im Voraus zu verdammen, sondern ihr mit der gebotenen Vorsicht zu begegnen: „Vorbeugen ist immer besser als später versuchen zu reparieren“, so Hofreiter.
Harald Ebner, Fraktionssprecher der Grünen für Gentechnik- und Bioökonomiepolitik, sagte, es gehe nicht um eine endgültige Antwort auf die Frage, was Gentechnik sei und was nicht, sondern darum, was reguliert werden muss. „Dinge sind plötzlich da, ohne dass sich die Regulierung darauf einstellen konnte. Deshalb muss die Politik reagieren“, forderte Ebner, „gentechnikfreie Landwirtschaft muss möglich bleiben, Verbraucherinnen und Verbraucher müssen die Wahlfreiheit behalten“, „Die Politik darf sich überrollen lassen von neuen Technologien und nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern muss ihre Verantwortung wahrnehmen!“
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament, forderte eine Einbindung des Europaparlaments. „Wir müssen jetzt diskutieren, nicht warten, bis die EU-Kommission etwas vorlegt und wir nur noch reagieren können.“ Er fühle sich erinnert an die Gentechnik-Debatte der 1990er Jahre. „Gentechnik hat seitdem wenig gebracht, nicht die Welternährung gesichert, sondern den Chemieeinsatz gefördert. Die neue Gentechnik ist nur die alte in neuem Gewand“.
Annemarie Volling (AbL) gab zu Beginn des Fachgesprächs in einem Einführungsvortrag einen Überblick übe die neuen Gentechnik-Verfahren. In ihrer Bewertung forderte sie: „Diese Verfahren sollen als das eingestuft werden, was sie sind: nämlich Gentechnik!“ Solange sie nicht zugelassen seien, gelte die Nulltoleranz. Volling wies auf den Wettbewerbsvorteil „Gentechnikfreiheit“ hin: „Würden wir Gentechnik-Pflanzen anbauen, wären unsere Produkte vollkommen austauschbar auf dem Weltmarkt! Europa ist bisher sehr gut damit gefahren, weitestgehend auf Gentechnik-Anbau zu verzichten!“
Prof. Dr. Ignacio Chapela (Institut für Integrative Biologie an der ETH Zürich) machte deutlich, wie wenig trotz der neuen „präzisen“ Verfahren über die Folgen bekannt ist: „Die Fähigkeit, DNA-Sequenzen zu ,lesen' heißt nicht, dass wir wissen, was diese Moleküle tun. Auch „Editierung“ ist deshalb irreführend. Wir können sozusagen ,Buchstaben' in eine Reihe stellen, nicht aber der Sinn der meisten ,Worte' verstehen, geschweige denn die dazugehörige ,Grammatik'“. Auch die Chancen der neuen Verfahren sieht Chapela skeptisch: „Die Geschichte der Biotechnologie, auch die der neuesten Next-Gen-Anwendungen, ist vom Scheitern geprägt“.
Dr. Margret Engelhard (Bundesamt für Naturschutz, BfN) sagte, die neuen Techniken seine nicht mit Zucht gleichzusetzen und verwies auf die bislang unwidersprochenen Gutachten aus ihrem Haus, nach denen die neuen Techniken aus juristischer Sicht eindeutig regulierungsbedürftige Gentechnik seien. Sie freute sich über die Debatte: „Das darf keine rein fachliche, das muss eine politische Diskussion sein“.
Alexander Gerber (BÖLW, Demeter) machte die klare Positionierung der Ökobranche deutlich. Bei der Debatte drohe ein zentraler Aspekt aus den Augen zu geraten: „Wollen wir bessere oder billigere Lebensmittel? Wollen wir eine sicherere Umwelt? Mit Landwirtschaft greifen wir ein in unsere Umwelt! Das sollten wir als Maßstab für die Bewertung der neuen Techniken im Blick haben“.
Kirsten Arp vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) machte deutlich, dass ihre Kunden die neuen Techniken nicht akzeptieren und deshalb eine Regulierung und Kennzeichnung unerlässlich sei. Denn andernfalls sei es nicht leistbar, sicherzustellen, dass die eigenen Produkte frei von Verunreinigungen sind. „Die ökologische Lebensmittelwirtschaft hat ja durchaus auch ökonomisches Gewicht“, so Arp. Sie erinnerte an die negative Erfahrung mit Zellfusions-CMS.
Hans-Joachim Bannier vom Dachverband Kulturpflanzen- u. Nutztiervielfalt e.V. betonte die Problematik der genetischen Verarmung, aber auch, dass die heutigen Sorten abhängig seien von Pestiziden, da „die Züchtungsautobahn in diese Richtung geht“ Monogenetische Züchtung helfe aber nichts gegen die Krise des Obstbaus.
Marek Thielemann von der Bingenheimer Saatgut AG: „Es braucht eine vielfältige Züchtungslandschaft für vielfältige Landwirtschaft. Die vielen Möglichkeiten der neuen Methoden haben dagegen ganz klar zu weniger Sorten geführt!“ Patente seien „eine Riesen-Markteintrittshürde“ und führten dazu, dass bei vielen Sorten gar keine richtige Innovationsarbeit mehr stattfinden könne.
Christoph Then, Testbiotech e.V., warnte, dass mit einer Zulassung ohne Regulierung große Mengen auf den Markt gelangen werden, die keinerlei Überblick und Rückverfolgbarkeit mehr zuließen, was für Produkte wo in Anbau, Umwelt und Nahrungskette gelangt sind. Ein massiver Verstoß gegen das europäische Vorsorgeprinzip. Die Patentierbarkeit dieser Züchtungen (von Pflanzen und Tieren) seien Treiber des Verfahrens, die Züchtungsfreiheit und damit Fortschritte massiv beschränkt. Das beträfe nicht nur den bereits extrem konzentrierten und von wenigen Konzernen dominierten Saatgutmarkt, sondern insbesondere die tierhaltenden Landwirte, denen die übliche hofeigene Nachzucht versagt wäre.
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