BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Harald Ebner, MdB

Es darf kein "Weiter so" bei Glyphosat geben

Noch nie wurde weltweit mehr Glyphosat verwendet als heute, über 5 000 Tonnen pro Jahr allein in Deutschland. Und noch nie war der Einsatz von Glyphosat so fragwürdig wie heute! Schon lange gibt es Hinweise, dass dieses Zellgift Krebs, Erbgutschäden, Missbildungen und andere Gesundheitsschäden verursacht, auch bei Tieren. Über viele Jahre haben Industrie, Bundesregierung und Behörden uns dennoch versichert, dass dieses Pflanzenvernichtungsmittel gesundheitlich unbedenklich sei. Jetzt hat aber Ende März dieses Jahres die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, die IARC, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend bei Menschen“ eingestuft. Damit kann und darf es kein „Weiter so“ bei Glyphosat geben. Bundestagsrede Harald Ebner

19.06.15 –

Bundestagsrede von Harald Ebner 19.06.2015

Glyphosat Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Werte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren reden wir heute in diesem Parlament über einen Pestizidwirkstoff, der traurige Berühmtheit erlangt hat, über Glyphosat, einen Wirkstoff von Totalherbiziden, also Pflanzenvernichtungsmitteln mit umfassender Breitenwirkung. Die Bundesregierung hat hinsichtlich der Senkung des Pestizideinsatzes nichts erreicht, die Hersteller von Pestiziden feiern erneut Rekordumsätze. Noch nie wurde weltweit mehr Glyphosat verwendet als heute, über 5 000 Tonnen pro Jahr allein in Deutschland. Und noch nie war der Einsatz von Glyphosat so fragwürdig wie heute! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schon lange gibt es Hinweise, dass dieses Zellgift Krebs, Erbgutschäden, Missbildungen und andere Gesundheitsschäden verursacht, übrigens auch bei Tieren. Der Spiegel hat letzte Woche über missgebildete Ferkel und andere Folgen berichtet. In Argentinien hat sich die Krebs- und Missbildungsrate in Sojaregionen mit massivem Glyphosateinsatz vervielfacht. 30 000 Ärzte schlagen dort deshalb Alarm. Über viele Jahre haben Industrie, Bundesregierung und Behörden uns dennoch versichert, dass dieses Pflanzenvernichtungsmittel gesundheitlich unbedenklich sei. Das werden wir ganz bestimmt gleich auch wieder von der Union hören; sie hat das heute bereits der Presse mitgeteilt. Jetzt hat aber Ende März dieses Jahres die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, die IARC, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend bei Menschen“ eingestuft. Das ist die zweithöchste Risikokategorie. Damit kann und darf es kein „Weiter so“ bei Glyphosat geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die IARC ist unbestritten die wissenschaftliche Institution weltweit für die Bewertung krebserzeugender Substanzen. Sie arbeitet unabhängig, transparent, nach strengen Regeln, und sie berücksichtigt keine Geheimstudien von Herstellern, sondern ausschließlich öffentlich zugängliche, überprüfte und überprüfbare Studien. Das ist der wissenschaftliche Goldstandard! Wenn eine solche Institution eine solche Warnung ausspricht, muss das Konsequenzen haben, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) gerade in Deutschland, das von den Herstellern als Berichterstatter für die EU-Neuzulassung von Glyphosat benannt wurde. Aber was macht die Bundesregierung? Sie sieht keinen Handlungsbedarf. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, hat schon nach wenigen Tagen die Ergebnisse kleingeredet: Sie seien „wissenschaftlich schlecht nachvollziehbar“. Ganz ähnlich hat auch Monsanto reagiert. Dessen Chef, Hugh Grant, hat die Arbeit des IARC als „junk science“, also als Dreckswissenschaft, bezeichnet, und das alles noch, bevor der umfassende Bericht, die Monografie, dazu veröffentlicht wurde. Schauen wir doch einmal auf das BfR und seine entwarnende Risikobewertung. Im BfR-Pestizidkomitee sitzen seit Jahren Angestellte großer Agrochemiekonzerne wie Bayer und BASF. Die WHO-Wissenschaftler fanden klare Belege für die Mechanismen, durch die Glyphosat Krebs verursachen kann: Schädigung des Erbguts und oxidativer Stress. Diesen Risikobereich hat das BfR aber kaum untersucht und wichtige Studien dazu ignoriert. Das BfR verwendet nicht nur in großem Umfang Industriestudien. Viel schlimmer: Es hat eine große Anzahl dieser Studien auch gar nicht selber bewertet, sondern die Bewertung der antragstellenden Industrie übernommen. Unter einer eigenständigen Bewertung stellen wir uns jedenfalls etwas anderes vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Gleichzeitig verharmlosen das BfR und andere Glyphosat-Fürsprecher das Gift und seine Risiken weiter. BfR-Präsident Hensel erzählt im Agrarausschuss, Glyphosat sei weniger toxisch als Kochsalz oder Kaffee. Der Vergleich ist, gerade wenn es um Krebsverdacht geht, absolut abwegig. Verbraucher können immerhin selber entscheiden, wie viel Salz oder Kaffee sie zu sich nehmen. Hinsichtlich Glyphosat weiß ich doch gar nicht, was in meinem Brötchen ist. Das steht nicht drauf. (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Bei Kaffee auch nicht!) Dass selbst bei vielen Großstädtern schon Glyphosat im Körper nachgewiesen wird, ist für Herrn Hensel normal und erwartbar. Die Bundesregierung und Teile dieses Hauses mögen die Auffassung teilen, dass es normal ist, wahrscheinlich krebserregende Substanzen im Körper zu haben. Wir jedenfalls können das nicht verantworten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Öko-Test wurde bei den meisten auf Glyphosat getesteten Getreideprodukten fündig. Sind Sie denn wirklich sicher, Herr Bleser, dass Glyphosat nicht schon längst in der Muttermilch auftaucht und Babys es aufnehmen? Um zu wissen, woher die Belastungen der Menschen kommen und wie hoch sie sind, brauchen wir eine umfassende Überwachung der Lebensmittelrohstoffe und endlich ein Human-Biomonitoring für Glyphosat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Trotz Krebsrisiko plädiert das BfR für eine Anhebung der akzeptablen Aufnahmedosis um zwei Drittel. Das ist bei einem wahrscheinlich krebserregenden Stoff schlicht fahrlässig, weil hier jede noch so kleine Dosis schaden kann. Wir brauchen keine höheren, sondern wir brauchen niedrigere Grenzwerte. Gerade hier muss uns das Vorsorgeprinzip oberstes Gebot sein. Bei deutlichen Hinweisen auf eine Gefährdung von Mensch und Umwelt dürfen wir eben nicht warten, bis die Gefährdung abschließend geklärt ist und der Krebsverdacht eindeutig belegt oder widerlegt ist. Aber der BfR-Präsident deutet das Vorsorgeprinzip um und spricht von einem „ökonomischen Vorsorgeprinzip“. Heißt das im Klartext, dass wir Gesundheitsrisiken in Kauf nehmen sollen, wenn es um Gewinne geht? Wir meinen: Wenn der Chef einer so hochrangigen staatlichen Behörde den begründeten Verdacht auf krebserregende Wirkung derart kleinredet, dann ist das ein untragbarer Zustand. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Die Bundesregierung will erst einmal abwarten und behauptet, es gebe keine Rechtsgrundlage für ein Eingreifen. Die Niederlande und Österreich beweisen das Gegenteil. Sie sind tätig geworden. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Herr Schmidt, Herr Bleser, Glyphosat gehört nicht in die Hände von Privatpersonen. Das sagen auch der Bundesrat, die Fachminister der Bundesländer und die Umweltverbände. Auch da hat die Bundesregierung nichts gemacht. Da musste erst die Opposition einen Brief an die Baumärkte schreiben, die jetzt nach und nach dieses Mittel aus den Regalen nehmen. Das zeigt, wie es geht. Tun Sie etwas! Nehmen Sie das Problem endlich ernst! Lesen Sie unseren Antrag! Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

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Bundestagsreden | Glyphosat | Pestizide

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