Bundesregierung agiert beim Aktionsplan Pflanzenschutzmittel planlos

Bundestagsrede zu Protokoll zur Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (Drs-Nr. 17/13076) Heute möchte sich die Bundesregierung mit der Vorstellung ihres „Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ (NAP) gerne einmal wieder selber loben - wenn es schon sonst kein anderer macht. Leider gibt das, was die Bundesregierung vorgelegt hat, zu Lob keinerlei Anlass.

13.06.13 –

Bundestagsrede zu Protokoll zur Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (Drs-Nr. 17/13076)

Heute möchte sich die Bundesregierung mit der Vorstellung ihres „Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ (NAP) gerne einmal wieder selber loben - wenn es schon sonst kein anderer macht. Leider gibt das, was die Bundesregierung vorgelegt hat, zu Lob keinerlei Anlass.

Denn die Aufstellung eines Nationalen Aktionsplans ist eine durch europäisches Recht gesetzte Aufgabe. Die Bundesregierung hat aber die Aufgabenstellung entweder gar nicht verstanden, oder nicht verstehen wollen. Das Ziel der nationalen Aktionspläne der EU-Mitgliedstaaten ist durch die EU-Richtlinie 2009/128 klar vorgegeben, nämlich: „die Abhängigkeit von der Verwendung von Pestiziden zu verringern“.

Doch schon im Vorwort zeigt sich, was der „Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ (NAP) schon einmal NICHT ist: nämlich ein irgendwie geartetes Reduktionsprogramm für Pestizide. Stattdessen lesen wir ein Loblied auf die Segnungen des chemischen Pflanzenschutzes, also genau das Gegenteil des von der EU gestellten Arbeitsauftrages.

Das ist ungefähr so, als würde man in einem Ratgeber zum Aufgeben des Rauchens erst einmal lang und breit betonen, wie viel Genuss Zigaretten bereiten und wie viel Steuern sie dem Staat einbringen.

Überraschen kann diese absurde Haltung leider nicht. Denn die Bevorzugung der Interessen der Agrochemie-Industrie auf Kosten von Mensch und Umwelt zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Agrarpolitik der Bundesregierung. Schwarz-Gelb verfolgt ein Agrarmodell, das auf immer höheren Input von externen Betriebsmitteln wie Pestiziden und synthetischen Düngemitteln setzt und das bestens bewährte Prinzipien wie mehrgliedrige Fruchtfolgen oder die gezielte Unterstützung von Nützlingen über Bord wirft. Dabei wäre es so einfach, auf das in Jahrhunderten angesammelte Wissen zurückzugreifen.

Und es kommt noch schlimmer! Nach dem euphorisch pestizidfreundlichen Vorwort erweist sich der Rest des Plans als handwerklich so schlecht gemacht, dass er nicht einmal als Nachwort ernst genommen werden kann.

Der Grundfehler des NAP schlechthin ist die weiterhin fehlende rechtssichere Definition einer „guten fachlichen Praxis“ - und das, obwohl sich viele Passagen im NAP auf eben diese Praxis berufen! Besser kann man nicht um den Brei herumreden! Wegen eben dieser fehlenden gesetzlichen Definition können nämlich Verstöße gegen die gute fachliche Praxis nicht wirksam sanktioniert werden. Das Verursacherprinzip kommt daher nicht zum Tragen. Stattdessen werden die Folgen solcher Verstöße der Allgemeinheit aufgebürdet, z. B. in Form von hohen Aufbereitungskosten von belastetem Grund- und Oberflächenwasser im Rahmen der Trinkwassergewinnung.

Auch in den Details des „Aktionsplans“ agiert die Bundesregierung eher planlos: viele wichtige Ziele werden zwar benannt, aber dann nicht mit klaren Kennzahlen und v. a. Zeitfenstern für die Zielerreichung belegt. So wird zwar im Text mehrfach und richtigerweise der Ökolandbau als Vorbild für ein Landbewirtschaftungssystem gepriesen, das v. a. durch den Verzicht auf Herbizide Maßstäbe für den Schutz von Wasser, Boden und Artenvielfalt setzt. Endlich hat das auch die Bundesregierung kapiert. Doch damit ist bei Schwarz-Gelb auch der Höhepunkt der Erkenntnis erreicht, denn ein Datum für das selbst gesteckte Ziel, die Ökolandbau-Fläche in Deutschland auf mindestens 20 Prozent auszuweiten, sucht man im „NAP“ vergeblich. Ja, bis wann soll denn dieses Ziel erreicht werden? Am Sankt Nimmerleinstag, wie die Frauenquote in Vorständen und Aufsichtsräten?

Auch für das Ziel „Reduktion der Belastung von blütenbestäubenden Insekten mit Pflanzenschutzmitteln“, womit natürlich vor allem die Bienen gemeint sind, wird weder eine konkrete Zielmarke, noch eine Frist genannt.

Und obwohl der Aktionsplan immer wieder betont, wie wichtig die Erforschung und Entwicklung von Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz doch seien, offenbart ein Blick in den Haushalt von Ministerin Aigner den krassen Unterschied zwischen Schein und Sein: gerade einmal 4 Mio. €, das ist weniger als ein Tausendstel ihres Etats, ist Ilse Aigner die Suche nach Chemie-Alternativen wert – kein Wunder, dass die „Abhängigkeit“ von Pestiziden in Deutschland nach wie vor erschreckend hoch ist!

Was sind die Folgen dieser Politik? Die Praxis erwartet zu recht eindeutige und verlässliche Signale, schließlich können für Landwirte oder Gärtner Vorgaben im Pflanzenschutzbereich mit erheblichen Investitionen verbunden sein. Doch statt der notwendigen Verbindlichkeit liefert die Bundesregierung wie üblich Nebelkerzen, auf deren Basis keine seriöse Planung möglich ist. Planungs- und Investitionssicherheit? Fehlanzeige!

Mit ihrer Linie „Abwarten und Tee trinken“ nimmt die Bundesregierung in Kauf, dass die deutsche Landwirtschaft wichtige Weichenstellungen im Pflanzenschutzbereich nicht oder zu spät vornimmt und damit völlig unnötig an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Schon jetzt fordern verschiedene Handelsunternehmen von ihren Lieferanten Garantien für die Freiheit der Ware von Pestizidrückständen oder zumindest Rückstandsmengen, die deutlich unter den offiziellen Grenzwerten liegen. Der Handel zieht damit – im Unterschied zur Bundesregierung – Konsequenzen aus den Ergebnissen der amtlichen Lebensmittelüberwachung: Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit stellte in seinem letzten Bericht über die Rückstandslage im Frühjahr 2012 fest, dass fast 60 % aller getesteten Produkte Rückstände von Pflanzenschutzmitteln aufwiesen, 40 % sogar Mehrfachrückstände!

Die Ursache für diese Belastungen ist einfach: die offizielle Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln im Vorfeld ihrer Zulassung funktioniert offensichtlich nicht. Dieses Defizit birgt nicht nur potenzielle Gesundheitsrisiken für die Anwender und – über Rückstände – auch die Verbraucher. Auch für die landwirtschaftliche Praxis bedeutet es aufwändige Umstellungen der Produktionssysteme, wenn wiederholt und zum Teil Jahrzehnte nach ihrer Erstzulassung gefährliche „Nebenwirkungen“ von Pestiziden festgestellt werden, die zuvor in der amtlichen Risikobewertung auf Basis von Studien der Hersteller als harmlos eingeschätzt worden waren. Ob DDT, Atrazin oder zuletzt Glyphosat oder die Neonicotinoide, der Ablauf ist immer der gleiche: Erst werden neue Pestizide bei der Risikoprüfung nicht entschlossen genug auf mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt überprüft, nach der Zulassung werden Hinweise auf Risiken zunächst geleugnet oder ignoriert, bis dann letztlich doch irgendwann ein Verbot unvermeidbar ist.

Mit einem ambitionierten Pflanzenschutzgesetz und mit Initiativen auf europäischer Ebene hätte die Bundesregierung in den letzten Jahren diesen Missstand beseitigen können. Doch Aigner und die Regierungsfraktionen haben im 2011 vorgelegten neuen Pflanzenschutzgesetz wissenschaftliche Erkenntnisse zu Defiziten in der Risikobewertung von Pestiziden konsequent ignoriert, Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz eher geschwächt als gestärkt und v. a. die gesetzliche Definition der guten fachlichen Praxis versäumt.

Die Bundesregierung hätte jetzt immerhin noch versuchen können, diese Defizite durch einen seriösen und handwerklich sauberen Aktionsplan mit verbindlichen Aussagen und Zielfestsetzungen wenigstens in Teilen zu heilen. Aber auch diese Chance haben Aigner & Co. nicht genutzt und sie haben sie offenkundig auch gar nicht nutzen wollen. Dieser Meinung waren auch die Umweltverbände, die schon vor Jahresfrist unter Protest das Vorbereitungsgremium des NAP verlassen haben.

Die Bezeichnung dieses Machwerks führt völlig in die Irre: die Bundesregierung hat weder einen Plan, noch ist eine verbindliche Aktion vorgesehen und mit Nachhaltigkeit hat das Ganze weniger zu tun, als das Abfackeln von Gas bei der Erdölförderung!  Einer Unmenge an Papiertigern fügt die Bundesregierung mit dem NAP einen weiteren hinzu, in dem viele wohlfeile Worte stehen, der aber weder die Risiken, noch die Abhängigkeit von Pestiziden in Deutschland reduzieren wird. Kurzum: eine weitere verpasste Chance zum Wohl der Menschen und der Umwelt etwas zu erreichen. Dieser NAP ist ein Nepp!

Kategorie

Bundestagsreden | Pestizide

GRUENE.DE News

<![CDATA[Neues]]>