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23.07.13 –
Glyphosat ist der Wirkstoff des weltweit am meisten verkauften Pflanzenvernichtungsmittels "Round up", sowie weiterer Totalherbizide.
Seit Jahren mehren sich aus allen Teilen der Welt Hinweise darauf, dass der weltweit stark gestiegene Einsatz des Herbizidwirkstoffs Glyphosat erhebliche Risiken und Auswirkungen auf Mensch und Tier birgt. Am 19. 6. veröffentlichte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine Pilotstudie, nach der bis zu 70 % der deutschen Bevölkerung inzwischen mit Glyphosat belastet sein könnten. Damit wurden ähnliche Hinweise aus Forschungen an der Uni Leipzig auf verbreitete Glyphosatbelastungen in der Bevölkerung bestätigt.
Doch die Bundesregierung weigert sich beharrlich, diesen Hinweisen nachzugehen oder konkrete Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die immer stärkere Glyphosat-Belastung von Mensch und Umwelt reduziert werden könnte.
Alles harmlos - oder doch nicht?
In trockenem Amtsdeutsch wird zwar bestätigt, dass es „eine allgemeine Hintergrundbelastung europäischer Bürger mit Glyphosat gibt“ (Frage 7). Die Bundesregierung geht aber davon aus, dass diese Dauerbelastung mit einem Pflanzengift völlig ohne gesundheitliche Auswirkungen bleibt.
So ganz geheuer scheint der Bundesregierung ihre offizielle Position aber nicht zu sein:
So wird nach zwei aktuellen Publikationen über Störungen des sensiblen Gleichgewichts zwischen gesundheitsförderlichen und gesundheitsschädlichen Bakterien im Verdauungstrakt von Mensch und Tier jetzt eine neue Studie mit Rindern durchgeführt. Dies steht im Widerspruch zum schwarz-gelben Tenor des Leugnens und Kleinredens der Risiken von Glyphosat. Eigentlich müsste auch dringend geprüft werden, ob die z. B. in Argentinien vermehrt beobachteten Fälle von schweren Missbildungen bei Kindern mit den dort eingesetzten riesigen Glyphosat-Mengen über Feldern mit gentechnisch veränderter Soja zusammenhängen könnten. Doch die Bundesregierung leugnet sogar indirekt den massiven Anstieg von Erkrankungen in den Sojagebieten Südamerikas als „nicht wissenschaftlich verifiziert“, obwohl es beispielsweise einen entsprechenden Bericht im Auftrag der argentinischen Provinzregierung von Gran Chaco auf Basis von Klinikdatenerhebungen gibt. Die Bundesregierung schenkt lieber den Zulassungsstudien für Glyphosat Glauben, obwohl sie selber klar einräumt, dass fast alle Studien für die Risikobewertung von Glyphosat-Herbiziden von den Unternehmen stammen oder in Auftrag gegeben wurden, die diese Produkte herstellen und die Zulassung beantragt haben (Frage 15, 22). Genauso gut könnte man sich eine „objektive“ Meinung über Gesundheitsgefahren durch das Rauchen bilden, indem man sich über das Thema nur aus Publikationen der Tabakindustrie „informiert“.
Freilandlabor "Mensch"?
Um nicht aktiv werden zu müssen und dabei vielleicht auf unangenehme Wahrheiten zu stoßen, entdeckt die Bundesregierung sogar den ansonsten von ihr sträflich vernachlässigten Tierschutz: Die Bundesregierung bestätigt zwar, dass es bisher keine Studien über die Folgen einer wiederholten Aufnahme von Glyphosat über die Atemluft gebe. Doch eigene Studien zur Überprüfung von Hinweisen auf diese und weitere Risikopotentiale zu beauftragen hält die Bundesregierung für weder notwendig noch verantwortbar (Frage 20), da sie zwangsläufig mit Tierversuchen verbunden wären.
Stattdessen nimmt die Bundesregierung in Kauf, dass weiterhin ein unkontrollierter „Großversuch“ mit Millionen von Menschen und Nutztieren stattfindet, die direkt oder indirekt mit Lebens- oder Futtermitteln in Kontakt kommen, welche mit Glyphosat-Herbiziden behandelt wurden.
Nicht sehen, nichts wissen...
Bei der Suche nach den möglichen Quellen für die vom BUND und anderen festgestellten Glyphosat-Spuren im menschlichen Körper lenkt die Bundesregierung den Blick angestrengt in die falsche Richtung: zwar wurden in den letzten vier Jahren über 3.000 Proben von Lebensmitteln wie Grapefruits, Erdnüsse oder Blumenkohl auf Glyphosat getestet. Das vermutlich weltweit am intensivsten mit Glyphosat behandelte Lebens- und Futtermittel, nämlich Soja, wurde dagegen nur 25 mal (6 mal pro Jahr!) analysiert (Frage 12).
Die Bundesregierung spielt also weiter die Ahnungslose – und ignoriert dabei sogar Daten der eigenen Behörden. So behauptet das BMELV, es lägen keine Informationen zum Umfang der Anwendungen im sogenannten „Nichtkulturland“ vor (Frage 2) – also Glyphosat-Einsätze z. B. auf Bahntrassen, Straßen, öffentlichen Plätzen etc. Dabei müssen derartige Anwendungen beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) beantragt werden – und das BVL untersteht direkt dem BMELV! Außerdem hätte die Bundesregierung mit einer einfachen Anfrage an das bundeseigene (!) Unternehmen Deutsche Bahn AG herausfinden können, dass z. B. für die Unkrautbekämpfung auf Bahntrassen jährlich ca. 90 Tonnen Glyphosat eingesetzt werden. Und Daten aus Rheinland-Pfalz deuten sehr wohl auf erhebliche Einträge durch illegale Privatanwendungen auf gepflasterten Wegen und Terrassen hin. Doch für die Bundesregierung gilt offenbar, dass nicht sein kann, was nicht sein darf….
...nichts tun!
Wirksame gezielte Maßnahmen zur Senkung des Glyphosateinsatzes, wie beispielweise das gerade in Österreich beschlossene Verbot der Reifespritzung (Sikkation) bei Getreide und Hülsenfrüchten, sind von dieser Bundesregierung auch nicht im Ansatz zu erwarten. Sie verweist nur auf ein Modellvorhaben zum Integrierten Pflanzenschutz und Projekte zur Weiterentwicklung von Verfahren des Integrierten Pflanzenschutzes. Das Ziel der Bundesregierung ist dabei gelinde gesagt unterambitioniert und wolkig-unverbindlich formuliert: „Reduzierung von Glyphosatanwendungen auf das notwendige Maß“. Die Merkel-Regierung liefert Mensch und Umwelt somit schutzlos einer Entwicklung aus, in der unkontrolliert immer mehr Pestizide wie Glyphosat ausgebracht werden, statt endlich Abhilfe zu schaffen!
Der Gipfel der Unverfrorenheit ist die Aussage des Hauses Aigner, dass im Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutz (NAP) u. a. die Ausweitung des Ökolandbaus auf 20 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche angestrebt werde und dass diese Ausweitung wegen des Verzichts auf Herbizide durch die Ökobauern doch auch eine gute Maßnahme zur Senkung der Glyphosat-Belastung sei (Frage 3). Fachlich völlig korrekt – allerdings hat sich die schwarz-gelbe Bundesregierung überhaupt keine Frist gesetzt, bis wann diese 20 % denn erreicht werden sollen und ob der Ökolandbau auch irgendwann sogar über 20 % wachsen „darf“! Schlimmer noch: Aigner hat all die Jahre nichts getan, um den Ökolandbau auch nur ein bisschen zu unterstützen, im Gegenteil: sie hat das ursprüngliche Bundesprogramm Ökolandbau verwässert und wirkungslos gemacht.
Ein gefährliches Duo: Gentechnik und Pestizide!
Auch die Bundesregierung muss erneut die Tatsache bestätigen, dass der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen mit Glyphosat-Toleranz zusätzliche Risiken mit sich bringt, indem in Beständen mit diesen Gentech-Pflanzen z. B. nicht „nur“ Glyphosat-Herbizide, sondern dabei gleichzeitig auch weitere Pestizide wie z. B. Insektizide ausgebracht werden können. Manche der in Argentinien festgestellten Erkrankungen werden auf eine solche Doppelbelastung zurückgeführt, z. B. von Mischungen aus Glyphosat und dem gefährlichen Insektizid Endosulfan (Frage 16).
Fazit: Um ihr eigenes, auf Pestiziden aufgebautes Agrarmodell nicht hinterfragen zu müssen, bleibt die Bundesregierung trotz vielfältiger Risikoindizien zu Glyphosat bei ihrer Linie des Ignorierens, Verdrängens, Verharmlosens und sich Herausredens. Die Regierung Merkel verweigert sich dringenden und wirkungsvollen Maßnahmen, mit denen im Sinne des Vorsorgeprinzips eine Minimierung der Belastung mit Glyphosat erreicht werden muss. Sie kommt damit ihrer Verantwortung und ihrem Schutzauftrag für Mensch und Umwelt nicht im Ansatz nach!
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